Tanaka Sensei

Der Weg zum Erfolg kennt keine Abkürzung

Karatelehrgang mit Sensei Tanaka Masahiko in Schluchsee 

 „Meet the Legend“  war das Motto des Lehrgangs, zu dem das Karatedôjô „HakuRyûKan“ aus Lenzkirch-Kappel eingeladen hatte. Und er ist eine lebende Karate-Legende: Weltmeister, überragender Kämpfer, Autor eines großartigen Kumite-Lehrbuchs, wurde ihm als Einzigem bisher ein Ehrenvideo der JKA gewidmet. Tanaka sensei sollte seinen einzigen Termin in Deutschland in der beschaulichen Schwarzwaldgemeinde Lenzkirch haben. Als Kämpfer wie als Trainer berühmt, hatte Tanaka sensei in den 1980 – 90er Jahren Deutschland öfters zu Lehrgängen besucht und war auch bei Gasshukus als Trainer eingeladen. Er unterrichtete in der ganzen Welt, und seine Wochenlehrgänge in Wien und Budapest sind legendär. Doch hielt er seit 25 Jahren keinen offiziellen Lehrgang mehr in Deutschland.

Eine illustre Schar Karateka vom 2. Kyu bis 8. Dan war zusammengekommen, und jeder war froh, bei diesem Lehrgang dabei sein zu können. Sensei Tanaka hatte nur etwas über 100 Teilnehmer zugelassen, er will alle im Blick haben. Aber auch zahlreiche Karatesportler waren zum Zuschauen erschienen, nachdem es seit langem keine Plätze mehr gab. Zwei Einheiten, dreieinhalb Stunden Sensei Tanaka, das bedeutete Schweiß und Konzentration, aber auch Vermittlung der wichtigen Kleinigkeiten, die letztlich den Unterschied machen – zwischen einfachen Schlägen und wirkungsvollen Techniken – zwischen reinem Sport und lebenslang gesunderhaltendem Karate-Training. Dieses Wissen vermittelt zu bekommen, dafür waren die Teilnehmer teils mehr als 1000km angereist. 

Der Lehrgang fand wegen der größeren Halle in Schluchsee statt, und bereits zu Beginn zeigte sich der besondere Geist Tanaka senseis: Der Platz des Sensei beim Angrüßen blieb leer. Tanaka sensei reihte sich in die Gruppe als ranghöchster Sempai ein, und das „otagaini-re“ zeigte, dass hier der Karate-Weg als gemeinsame Übung gemeint war. Tanaka sensei übernahm dann aber doch die Führung, zur Einstimmung berichtete er uns von seinen Gedanken und Empfindungen in bestimmten Situationen seines (Karate-)Lebens. Diese Einstimmung gab den vielen, teils hochrangigen und erfahrenen Karatekas einen tiefen Einblick in Tanakas Stimmung und Denken. Und seine Beschreibung der Stimmung beim legendären Abschlußkampf 1980 in Bremen fand eine gespannte Zuhörerschaft, waren doch etliche damals bereits beim Karate dabei. Der hervorragende Übersetzer René Winkler war gehörig gefordert, bei diesen ausführlichen Erklärungen. 

Tanaka sensei entschuldigte sich bei uns allen, dass er lediglich einen Tag Zeit habe, und von daher kein wirklicher Lehrgang möglich sei. Manche könnten unzufrieden sein, da er uns nur manche Grundlagen zeigen, aber nicht wirklich aufbauen könne. Doch fast unvermittelt wurde Tanaka dann zum Sensei. Bereits das Aufstehen aus dem Sitzen kritisierte er. Erheben wir uns, in voller Kontrolle und Bereitschaft, oder stehen wir nur auf? 

Schon hier wurde klar, Tanaka Sensei achtet auf kleinste Details. Etikette, Manieren, Körperhaltung und ständige Wachsamkeit sind enorm wichtig auf dem Weg, die eigene Persönlichkeit zu vervollkommnen. Kleine Bewegungen werden bei ihm zur hohen Kunst, die fließende Bewegung seines Aufstehens ist beindruckend, Geschmeidigkeit statt Schwerfälligkeit, auch beim 77jährigen, er kann noch immer sofort aus dem Sitz in den Kampf übergehen. Ebenso kann er direkt aus dem Sitz angreifen – er zeigt als 77jähriger den Maegeri aus Seiza vielleicht etwas langsamer als früher, aber noch immer perfekt.

Sein Karate stellt den Dreiklang Technik – Power – Spirit in den Mittelpunkt. Und sein Leitsatz „mukin shôri“ – „der Weg zum Erfolg hat keine Abkürzung“, betont, dass nur andauerndes Bemühen und fortgesetzte Übung tiefere Ergebnisse und Einsichten ermöglicht. Dementsprechend übten wir Heian shodan – und Tanaka sensei brachte uns binnen kurzem dahin, dass wir diese Kata so intensiv und bewusst empfanden und durchlebten, wie es im Karate eigentlich jedesmal sein sollte, aber oft nicht ist. Bereits die erste Technik wurde so zum Prüfstein für jeden. Und ohne den rechten Geist war sowieso alles nichts, das wurde jedem mehr als deutlich.

Die hundertprozentige Beherrschung der Grundlagen verlangt er stets von sich und auch von seinen Schülern. 80 oder 90 Prozent Einsatz reichen ihm nicht, er ist bekannt für seine harten Trainingseinheiten mit Tausenden Fuß- oder Fauststößen. Selbst bei hochrangigen Schwarzgürteln sucht er kompromisslos nach Fehlern, ohne Rücksicht auf den Dan-Grad. Das durften auch einige Teilnehmer erfahren, deren ungenügendes Verständnis sofort aufgedeckt wurde.

Tanaka sensei betonte die Unterschiedlichkeit des Körperbaus zwischen „Westlern“ und Japanern. Japaner haben aufgrund dessen, wie auch wegen ihrer Lebensgewohnheiten oft geschmeidigere Sprunggelenke. Daher bevorzugen sie Techniken wie Oizuki, und sie perfektionieren diese. Westliche Menschen können das meist nicht erreichen, da ihr Körper anders ist. Wir müssen unseren Körper verstehen und nutzen lernen, so wie er ist, betonte Sensei. Also nicht etwas erreichen wollen, was nicht möglich ist, sondern das perfektionieren was erreichbar ist. 

Gerade das „Eindringen“ in der Technik, wurde betont. Tanaka sensei zeigte uns, dass die gesamte Energieübertragung in den wenigen Zentimetern zwischen Kontakt und Eindringen stattfindet. Dies war genau der „one inch punch“, den manche bei Bruce Lee bewundert haben, und der ebenso zum Karate gehört. Und auch hier zeigte sich die ganze Bandbreite der Karatewelt, denn manche der Übenden missverstanden Tanaka sensei gründlich. Doch ließ er dies nicht lange zu. Diese Verständnisfehler wurden offen gelegt und korrigiert. Und er wollte dass wir genau dieses Eindringen auch und gerade in der Kata verstehen und ausführen.

Kraft ist wichtig, aber Technik ist wichtiger als Kraft. Technik ist wichtig, aber der Geist, die Einstellung ist wichtiger als Technik. Sicher mag dies für viele nichts Neues sein. Bereits Funakoshi sensei betonte: Zuerst kommt der Geist, dann die Technik. Tanaka sensei betonte diesen Aspekt immer wieder. In jedem Aspekt seines Karate kommt gerade dies zum Ausdruck, ebenso im Logo seines Dôjô Shokukan, das einen Kreis zeigt mit 3 waagrechten Strichen darin, die diese drei Prinzipien ausdrücken.

Wenn man oberflächlich hinschaut, dann haben wir an diesem Tag „nur“ Heian shodan bis Heian godan geübt. Wir haben aber alle Aspekte des Karate, die in diesen Katas zum Ausdruck kommen, erlebt und auch diskutiert. Ja - Tanaka sensei teilte uns auch in Paare auf, und wir sollten uns gegenseitig die Kata vorführen und dann verbessern. Und am Schluss durfte auch eine, wenn auch kurze, Kumitepartie nicht fehlen, bei der jeder sich noch einmal so richtig auspowern konnte.

Mancher Karateka wird sich sagen, schade dass ich diesen Lehrgang, diese Möglichkeit, von solch einer hervorragenden Parate-Persönlichkeit lernen zu dürfen, verpasst habe. Einen sehr guten Einblick in die Tiefe des Wissens von Tanaka sensei bietet aber ebenso sein Buch „Hasha – Kumite in Perfektion“ welches in deutscher Übersetzung bei Schlatt Books erhältlich ist. Die Genauigkeit der Darlegung jeder besprochenen Technik gibt jedem Studierenden die Möglichkeit, die jeweilige Technik bis ins Detail zu begreifen und zu meistern. Und auch mentale und geistige Blickwinkel, sowie Kata sind beinhaltet.

Es war eine große Ehre für das Kappler Dôjô „HakuRyûKan“ und dessen Sensei Anton Sàlat, dass dieser Karatemeister zusammen mit seiner Frau in den Schwarzwald kam. Der Kontakt zwischen Sàlat und Tanaka sensei währt schon viele Jahre, in Japan war er bei ihm zu Gast, durfte dort sogar in seinem Künstlerhaus wohnen. Auch der Dôjôname wurde von Sensei Tanaka gegeben. In diesem Jahr 2018 feierten Sensei Tanaka und seine Gattin ihre goldene Hochzeit, was in Japan ein großes Fest bedeutet. Diese gemeinsame Reise von Tanaka sensei und seiner Frau Emiko zu verschiedenen Stationen seines Karatelebens fand dann ihren Abschluss in Deutschland im Schwarzwald. Trotz des straffen Zeitplans genossen beide das vielfältige Besuchsprogramm, welches das Kappler Dôjô für die beiden vorbereitet hatte, aber auch die kurzen Ruhezeiten im Haus von Anton Sàlat mitten im Wald bei Lenzkirch. Die Freude der über 100 Anwesenden beim abschließenden Festbankett im Hotel Schwörer in Lenzkirch war groß, als die beiden gemeinsam die „Hochzeitstorte zur goldenen Hochzeit“ anschneiden durften. Und das eigens für die Beiden getextete Lied zu „El Condor Pasa“, der Lieblingsmelodie Tanaka senseis, rührte die Herzen.

Tanaka sensei hat mit diesem Lehrgang seine Lehrtätigkeit in Europa beendet. Dieser Lehrgang war sein Abschied. In Japan wird er weiterhin in seinem Dôjô Shokukan unterrichten, aber reisen will der 77jährige nicht mehr. Es ist ein trauriges Gefühl, diesen großartigen Karatemeister scheiden zu sehen, und es ist ein großartiges Gefühl zu wissen, dass wir dabei sein durften, und seinen Karate-Geist noch einmal erleben und teilen durften. Es liegt an uns das Karate weiterzuführen, ohne Abkürzung.